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Horrorwohnung mitten in Uelzen: Kleiner Junge und überforderte Mutter leben zwischen Bergen von Abfall

  • Subtitle: Uelzen

Von Michael Michalzik

Uelzen. Ein kleiner Junge steht in einer völlig verwahrlosten Wohnung zwischen Bergen von Abfall. Das Kind hält den fremden Männern vertrauensvoll das Einzige entgegen, was es besitzt – zwei kaputte Spielsachen. Das Ende eines Räumungstermins am gestrigen Mittwoch mitten in Uelzen, in bester Wohnlage.

Im Gespräch mit den Uelzener Nachrichten erklärt ein Vertreter der Immobilienfirma, der die Wohnung gehört: „Der Junge. Vier oder fünf Jahre alt. In dem ganzen Schmutz. Das tat einem so leid.“ Und auch das Schicksal der jungen Mutter, die allein mit ihrem Kind und mehreren Katzen in der völlig zugemüllten Wohnung offenbar über einen längeren Zeitraum lebte, geht den Männern nah.

Denn inmitten des Abfalls finden sich keine leeren Alkoholflaschen, um Klischees zu erfüllen, sondern immer wieder ramponierte Spielsachen – ein alter Teddy, Knete. Eine Mutter, die ihr Kind lieb hat, für es sorgen wollte, ohne Zweifel. Aber irgendwann muss etwas aus dem Ruder gelaufen sein. Muss ein Punkt erreicht worden sein, an dem ein Faden riss, die Frau nicht mehr Herr der Lage wurde. Noch ist nicht klar, wie lange genau die kleine Familie in der Horrorwohnung ausharren musste. Ob es zum Schluss noch Strom und Heizung gab.

Fest steht: Die Mieterin war für die Immobilienfirma nicht erreichbar: „Sie hat Monate über Monate keine Miete mehr gezahlt. Sie hat die Tür nicht geöffnet und ist auch nicht ans Telefon gegangen.“ Dann traf die Firma eine Entscheidung: Räumungsklage. Gemeinsam mit einem Gerichtsvollzieher machten sich Mitarbeiter auf den Weg zu der Wohnung in der Uelzener Stadtmitte. Gute Nachbarschaft, keine Auffälligkeiten.

Nachdem die Männer die Wohnung betreten hatten, wurde ihnen sofort klar, womit sie es zu tun hatten. Ein extremer Fall von sozialer Störung. Die Dusche bis oben mit Abfall zugestapelt. Das Kinderbett vollkommen verdreckt, ein Albtraum. Katzen und ihre Hinterlassenschaften überall. Der Fußboden der Küche übersäht mit leeren Essenspackungen und angebrochenen Fleischpaketen.

Aber auch Spuren des Versuchs, ein normales Leben zu führen: eine akkurat in einen Becher gestellte Kinderzahnbürste, aufgerissenes Weihnachtspapier als Zeuge einer kleinen Bescherung, ein großer Kratzbaum für die Katzen.

Wie konnte so etwas mitten in der Stadt passieren – monatelang, offenbar unbemerkt? Volker Leddin, Leiter des Ordnungsamts der Hansestadt Uelzen: „Das geschieht leider häufiger als man glaubt.“ Wenn jemand befürchtet, dass sich so etwas in seinem Umfeld abspielt, kann er sich in Uelzen an die städtische Ordnungsbehörde wenden – auch direkt an Amtsleiter Leddin: „Wir behandeln das äußerst sensibel.“ Das Ordnungsamt klärt auch die entsprechenden Zuständigkeiten: „Je nach Lage ist das weitere Verfahren abhängig vom Einzelfall. Sind Kinder betroffen, ist das Jugendamt involviert.“ Bei Tieren ist es dann auch das Veterinäramt wegen der Tierschutzrechte. Auch das Gesundheitsamt kann betroffen sein, wenn Schädlinge zu befürchten sind. Geht es um das Thema Betreuung, beispielsweise bei Kindern, muss das Amtsgericht gehört werden. In jedem Fall, so Volker Leddin, sei das Ordnungsamt der erste Ansprechpartner, der sich dann um die fachliche Beratung kümmert.

Gabriel Siller, Vorsitzender des Kinderschutzbundes Uelzen, empfiehlt, sich bei entsprechenden Beobachtungen an den Sozialpsychiatrischen Dienst des Landkreises zu wenden: "Wenn so eine Situation herrscht und die Frau den Zustand nicht mehr halten kann, der für das Kind richtig ist, ist das eine Erkrankung, die behandelt werden muss."

Die fremden Männer in der verwahrlosten Wohnung, denen das Kind freundlich entgegenkommt, sind fassungslos. Die Mutter ist apathisch, hilflos. Sie wird mit ihrem Jungen zunächst bei Freunden unterkommen. Das Jugendamt wird über den entsetzten Gerichtsvollzieher eingeschaltet. Jetzt soll geprüft werden, ob die Mutter überhaupt imstande ist, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Wenn nicht, wäre es das Ende für die kleine Familie.

Fotos: oh