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Bescheiden und doch eine Perle: Museumsdorf Hösseringen untersucht Landarbeiterhaus in Dreilingen

  • Subtitle: Hösseringen

Hösseringen/Dreilingen. „Dass dieses Haus so eine Perle ist, hätten wir nicht gedacht.“ Vorsichtig sprüht Philipp Ramünke die Innenwand der Stube des ehemaligen Landarbeiterhauses in Dreilingen mit Wasser ein – und in der hellgelben Kalkfarbe werden die zuvor nur zu erahnenden Muster deutlicher sichtbar. „Die unterste Schicht in diesem Raum ist eine Tapete, die direkt auf die Lehmwand aufgebracht wurde. Die Kalkfarbe gehört wahrscheinlich zu einer jüngeren Schicht“, erläutert der Restaurator des Museumsdorfes Hösseringen, der seit einigen Wochen mit den Untersuchungen zur Geschichte des Arbeiterhauses an der Dreilinger Dorfstraße beschäftigt ist.

Das Gebäude ist zwischen 1836 und 1844 als Wohnhaus für vier Landarbeiterfamilien erbaut worden. „Für die damalige Zeit haben wir es mit einer modernen und komfortablen Bauform zu tun“, erläutert Ramünke. Denn bis dato hatten Knechte und Mägde auf den Höfen kaum Privatsphäre, waren oft im großen Hallenhaus bei den Tieren in einer Schlafbutze untergebracht. Unter diesen Umständen war an das Gründen einer Familie nicht zu denken. Kein Wunder, dass viele junge Leute ihr Glück lieber in der Stadt oder gar im fernen Amerika suchten. Diese weit verbreitete Landflucht führte zu einem Arbeitskräftemangel auf dem Land, dem die Bauern entgegenwirken mussten. So auch der Dreilinger Bauer Meyer, der wohl erstmalig im heutigen Landkreis Uelzen ein reines Wohnhaus für mehrere Mietparteien errichtete. Heute ist es das letzte erhaltene Gebäude dieser Art in der Region. Jeder Familie stand eine Stube und eine Kammer zur Verfügung, in der Flurküche befanden sich zwei Gemeinschaftskochstellen unter einem großen, unten offenen Schornstein mit Rauchfang. Die offenen Feuerstellen wurde später durch Sparherde ersetzt. „Das Haus war bis in die Nachkriegszeit bewohnt. Zeitweise waren hier Flüchtlinge untergebracht“, weiß der Restaurator. Seit Mitte der 1960er Jahre steht es leer, später schenkte es Bauer Jürgen Meyer dem Museumsdorf. „Für die Umsetzung fehlten bislang leider die finanziellen Mittel“, so Museumsleiter Dr. Ulrich Brohm, der aber dennoch alles für die Translozierung vorbereiten möchte. Auch die bauhistorische Dokumentation gehört dazu.

Und so arbeitet sich Philipp Ramünke durch die einzelnen Wandbeläge bis auf die unterste Lehmschicht, wie sich ein Archäologe durch die Erdschichten in die Tiefe gräbt. Detailbefunde werden gesichert, die Tapeten und Ausmalungenaber ansonsten weitgehend an Ort und Stelle belassen. „Hier haben wir eine Bordüre, die mittels Schablonen aufgetragen wurde“, begeistert sich der Restaurator für einen ganz besonderen Befund: Ein florales Motiv aus der Zeit des beginnenden Jugendstils. Auch Biedermeier-Befunde zeigen: Das Zuhause mochte klein und bescheiden gewesen sein. Aber man wollte es sich so schön wie möglich machen und folgte den angesagten Modetrends.

Elektrifiziert wurde das Fachwerkhaus in den 1930er Jahren. Die damaligen Bewohner hatten sich extra ein Radio gekauft, um einen Boxkampf von Max Schmeling mitverfolgen zu können.
Welcher Zeitschnitt später einmal im Museumsdorf präsentiert werden wird, ist noch nicht festgelegt, ein Thema aber schon: „Mit diesem Gebäude haben wir die Gelegenheit, eine soziale Gruppe in den öffentlichen Fokus zu rücken, die in den niedersächsischen Freilichtmuseen bislang kaum thematisiert wurde: die breite Schicht unterprivilegierter Land- und Industriearbeiter im Zeitraum 1840 bis 1950“, fasst es Ulrich Brohm zusammen.

Foto: Museumsdorf Hösseringen