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Landkreis Uelzen

Afghanistan bewegt auch regionale Politik: „Wir müssen sie jetzt aus dem Land herausholen“

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Von Michael Michalzik

Uelzen/Landkreis. Die überraschende Übernahme der afghanischen Hauptstadt Kabul durch die radikal-islamischen Taliban bewegt die Gemüter weltweit. Auch in der hiesigen Politik mischen sich Sorge und Unverständnis.

Von einer internationalen Tragödie spricht die Altenmedinger FDP-Bundestagskandidatin Anja Schulz. Bundeswehrkräfte der Fallschirmjäger seien jetzt nach Afghanistan ausgerückt, um die Betroffenen zu evakuieren. Viel zu spät, sagt Schulz: „Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Wir haben bereits am 9. Juni in einer Fragestunde des Bundestages zu bedenken gegeben, dass eine Evakuierung der Ortskräfte vonnöten ist. Doch Heiko Maas und das Auswärtige Amt haben die Lage dramatisch falsch eingeschätzt. Bezahlen tuen das jetzt die Menschen vor Ort – und zwar mit ihrem Leben, wenn es wirklich schlimm wird.“

EU-Parlamentarier David McAllister, der am Mittwoch bei einer Veranstaltung von CDU-Bürgermeisterkandidatin Dr. Wiebke Köpp in Uelzen sprach (UEN berichteten), hat für den heutigen Donnerstag eine Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments einberufen. Dr. Köpp sprach angesichts der dramatischen Szenen auf dem Flughafen Kabul von „unerträglichen Bildern“. McAllister war selbst zwei Jahre Bundeswehrsoldat und war später als Politiker zu Besuch bei deutschen Soldaten in Masar-e Scharif. Die jetzigen Ereignisse seien niederschmetternd. Damals sei Deutschland zur Terrorabwehr mit der Nato im Einsatz gewesen, dies sei erfolgreich gewesen: „Die Al-Qaida gibt es nicht mehr.“ Die mehr als 50 deutschen Soldaten seien für einen sinnvollen Einsatz gefallen.“

Im zweiten Teil des Einsatzes sei es darum gegangen, so MacAllister, rechtsstaatliche Strukturen zu schaffen und Sicherheitskräfte auszubilden. Diese seien aber jetzt nicht in der Lage gewesen, des Ansturms Herr zu werden: „Wir sind jetzt, wo wir sind. Jetzt geht es erst einmal um humanitäre Unterstützung. Deutsche Staatsangehörige, aber auch Afghanen, die für uns gearbeitet und viel für uns getan haben – wir müssen sie jetzt aus dem Land herausholen.“ Der Europa-Abgeordnete weiter: „Wenn wir nicht wollen, dass sich die Menschen jetzt zu Hunderttausenden auf den Weg nach Europa machen, dürfen wir nicht den Fehler vom vorigen Mal machen. Wir müssen mit Anrainern wie Indien und Pakistan reden, damit die Versorgung der Flüchtlinge sichergestellt wird. Wir brauchen erst einmal eine humanitäre Lösung. Aber dann muss Klartext geredet werden.“ Mit Blick auf den Alleingang der USA beim Truppenabzug machte McAllister deutlich: „Es muss klar sein: Wenn wir gemeinsam in so einen Einsatz gehen, gehen wir auch gemeinsam wieder raus.“

Anja Schulz: „Tatsächlich scheint es, als wären Bundesregierung und Außenministerium vollkommen von den Ereignissen überrumpelt worden. Wir beobachten hier gerade das kollektive Scheitern des Westens, und zwar mit Ansage und unter maßgeblicher Beteiligung der deutschen Regierung.“ Gespräche mit Einsatzkräften, die vor Ort waren, seien laut der FDP-Politikerin immer recht eindeutig gewesen. Kaum jemand hätte das Gefühl gehabt, dass die Lage auch nur im Ansatz stabil genug gewesen wäre, um guten Gewissens gehen zu können. Selbst in den USA räumten Politiker der Republikaner inzwischen ein, dass man es in den letzten 20 Jahren versäumt habe, die Kultur, die Situation und die Lage realistisch zu begreifen und einzuschätzen: „Der Fall Afghanistans ist die größte geopolitische Niederlage der amerikanischen Allianz seit dem Vietnamkrieg“, so Schulz.

Die FDP selbst fordere derweil in einem 10-Punkte-Papier die Einberufung eines EU- Sondergipfels. Darüber hinaus sollen Abkommen mit den Anrainerstaaten Afghanistans geschlossen werden, um Flüchtlingsströme in diese Länder zu leiten und um sie dort angemessen versorgen zu können. Ehemalige Ortskräfte, die die Bundeswehr in den letzten 20 Jahren unterstützt hätten, sollen mit ihren Familien nach Deutschland gebracht und ein Visaprogramm für afghanische Frauen initiiert werden. Denn diese würden sehr wahrscheinlich am stärksten unter der Machtergreifung der Taliban zu leiden haben.

Foto 1 (Michalzik): EU-Parlamentarier David McAllister sprach in Uelzen zur Situation in Afghanistan

Foto 2 (privat): FDP-Bundestagskandidatin Anja Schulz wirft der Bundesregierung Versagen vor.