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Landkreis Uelzen

Berlin-Tagebuch unserer FDP-Bundestagsabgeordneten Anja Schulz (Teil 25): Eine Demokratie lebt vom Diskurs

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Hallo Uelzen,
 
wann haben Sie eigentlich das letzte Mal so richtig mit jemanden diskutiert, in dem Versuch, einen Kompromiss zu finden? Egal wann es war, es ist sicherlich anstrengend gewesen. Aber auf lange Sicht hat es sich bestimmt gelohnt. Denn gemeinsam einen Weg finden, mit dem sich beide Seiten arrangieren können ist immer nachhaltiger als seinen Willen durchzudrücken und am Ende ist eine Seite übervorteilt und die andere fühlt sich nicht gehört.
 
Wenn solche Prozesse nicht nur zu zweit, sondern zu dritt ablaufen, dann ist Koalitionsausschuss.
 
Ich kann aus medialer Sicht natürlich verstehen, dass Politik spannend ist, wenn die Fetzen fliegen und es ein wenig Seifenoperncharme hat. Immer dann, wenn vermeintliche Details aus den Auseinandersetzungen nach außen dringen.
Allerdings finde ich es schade, dass Diskussion und Streit in der Sache so einen schlechten Ruf in unserer Gesellschaft haben und potenziell immer als etwas Schlechtes und Störendes angesehen werden. Gesellschaften in denen nicht gestritten wird, sind in den meisten Fällen Gesellschaften in denen nicht gestritten werden kann, weil es nur eine erlaubte Meinung gibt. Eine Demokratie wie unsere lebt vom Diskurs.
 
Ich bin froh, dass sich FDP, SPD und Grüne mit Nachdruck darum bemühen gute und gemeinsame Lösungen zu finden. Dass dann mal ein Minister nicht ganz so glücklich ist, ist schade, aber es gehört nun mal dazu.
 
Dennoch kann sich das Ergebnis in meinen Augen sehen lassen. Wir straffen endlich lästige bürokratische Verfahren für Infrastrukturprojekte, dazu gehört auch eine integrierte Klima- und Energiepolitik. Denn auch Windkraftanlagen sollen in Zukunft schneller umgesetzt und Autobahnneubauten durch Solarflächen neben den Fahrbahnen ausgestattet werden. Marode Brücken werden in Zukunft gar nicht erst neu ausgeschrieben, sondern können direkt saniert werden. Dank unseres Bundesfinanzministers werden wir all dies schaffen, ohne weitere Schulden aufnehmen zu müssen. Finanziert werden soll dies unter anderem durch eine Ausweitung der LKW-Maut. Von dieser Maut befreien lassen kann sich übrigens jeder, der es schafft durch eine der zur Verfügung stehenden Technologien seinen LKW klimaneutral fahren zu lassen. Man erkennt hier deutlich einen verzahnten und gut integrierten Ansatz.
 
Aber es gab in dieser Woche mehr als nur Diskussion. Ich kann ja nicht oft genug betonen, wie sehr ich mich freue, wenn ich Besuch in Berlin bekomme. Gerade in dieser Woche erst war eine Gruppe junger Gastronomiemitarbeiter aus einer von Leben leben geführten Werkstatt für Menschen mit Behinderung bei mir und hat die Großküche des Bundestages besucht. Außerdem haben mich am Montag und Dienstag zwei Mitglieder des FDP Bezirks Lüneburg besucht, um sich ein Bild vom Arbeitsalltag einer Bundestagsabgeordnete zu verschaffen. Die beiden begleiteten mich zu allen meinen Terminen, die sich an diesen Tagen blockartig aneinanderreihen. Zu politischen Prozessen gehört es, sich viel auszutauschen und zu besprechen, und das in den unterschiedlichsten Zusammensetzungen. Ich hoffe, dass ich den beiden so viele neue Eindrücke vom politischen Alltag verschaffen konnte.
 
Einen Besuch wie am Donnerstag habe ich bisher allerdings auch noch nicht erlebt. König Charles III aus dem Hause Windsor war zu Besuch in Deutschland und hat eine Rede im Parlament gehalten. Eine besondere Geste, denn es war sein erster offizieller Staatsbesuch seitdem er König ist. Was viele erstaunt haben dürfte: gesprochen hat er in fließendem Deutsch. Dabei ist das überhaupt nicht verwunderlich. Denn die Windsors sind eine Familie mit deutschen Wurzeln. Erst im Zuge des Ersten Weltkrieges änderten sie aufgrund der antideutschen Stimmung im vereinten Königreich ihren Namen. Zuvor waren sie unter dem Haus Sachsen-Coburg und Gotha bekannt. Schon Charles Vater, Prinz Philipp, gab Interviews mit deutschen Medien gerne in der Landessprache.
 
Im Bundestag sprach der König über den langen Weg, den die Deutsch-Britische Freundschaft genommen hat, und über die Unverbrüchlichkeit unserer Allianz, die trotz des Austritts der Briten aus der EU weiterhin fortbesteht. Aber auch über die legendäre Reichstagskuppel, die in den 90ern von einem britischen Architekten entworfen wurde.
 
Als Liberale haben wir historisch betrachtet natürlich eher eine Distanz zu Monarchen und Monarchien. Immerhin mussten hierzulande alle Freiheiten seit der ersten liberal-demokratischen Revolution von 1848 gegen die Monarchie erkämpft und verteidigt werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das heutige Großbritannien als eine der Ersten schon im 17. Jahrhundert damit begann, sich von einer absolutistischen Monarchie in Richtung einer modernen parlamentarischen Demokratie zu wandeln, in der König oder Königin nur noch die Rolle eines Staatsoberhauptes einnehmen, ähnlich unseres Bundespräsidenten. Aus diesem Grund konnte ich dem Lärm einiger Zeitgenossen aus der Linkspartei nur bedingt folgen, als Kritik am Auftritt des Königs laut wurde.
 
Europäisch ging es dann auch direkt weiter. Ich durfte der französischen Wirtschaftszeitung "Les Echos" ein Interview über die Reformpläne im Deutschen Rentensystem geben. Da mein Französisch aus der Schulzeit, die einige Jahre zurückliegt, für so ein komplexes Thema nichts ausreicht, haben wir das Interview aber glücklicherweise auf Deutsch geführt.
 
Freundliche Grüße
 
Anja Schulz
 
Foto (oh): Raphael Wedemeyer