„Seriöse Finanzberatung braucht mehr als Strukturvertrieb“ - Gastbeitrag von Janith Lemmermann – externer Unternehmer und Verleger
Persönliche Einordnung
Als Unternehmer und Verleger bin ich täglich mit Fragen der öffentlichen Verantwortung, rechtlichen Klarheit und strukturellen Integrität konfrontiert. Die hier geschilderten Erfahrungen und Einschätzungen beruhen auf persönlichen Gesprächen und Beobachtungen. Sie dienen der kritischen Einordnung und sollen zur Diskussion über Transparenz und Verantwortung in der Finanzberatung beitragen. Mein Ziel ist nicht die pauschale Verurteilung, sondern die systemische Differenzierung – zwischen seriöser Beratung und strukturell problematischen Vertriebsmodellen.
Systemlogik vor Kundeninteresse
Finanzberatung verlangt Verantwortung – wirtschaftlich wie menschlich. Aus persönlicher Erfahrung sehe ich Anlass, zwischen seriösen und unseriösen Strukturvertrieben zu unterscheiden. Nicht pauschal, sondern anhand konkreter Merkmale und systemischer Wirkweisen.
Unseriöse Strukturvertriebe arbeiten oft mit intransparenten Hierarchien, psychologischem Verkaufsdruck und rechtlich komplexen Vertragskonstruktionen. Die nach außen kommunizierte Selbstständigkeit ist in der Praxis häufig eingeschränkt – geprägt von strukturellen Abhängigkeiten. Die wirtschaftlichen Anreize sind so gesetzt, dass der Produktabsatz im Vordergrund steht, nicht die individuelle Lösung für den Kunden.
Diese Systemlogik zeigt sich auch in der Art der Ansprache: Noch heute werde ich – trotz klarer Kennzeichnung meines Profils als geschäftsführender Gesellschafter – über Plattformen wie LinkedIn kontaktiert, ob ich nicht eine „selbständige Tätigkeit“ aufnehmen wolle. In einem konkreten Fall ging es um eine Tätigkeit als Handelsvertreter im Finanzvertrieb. Bereits im ersten Telefonat mit einer Recruiterin wurde mir suggeriert, man müsse zu Beginn kein Gewerbe anmelden. Dabei ist die Rechtslage eindeutig:
„Eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, ist Gewerbebetrieb, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist.“
(§ 15 Abs. 2 Satz 1 EStG)
Ein Handelsvertreter, der provisionsbasiert Finanzprodukte vermittelt, erfüllt diese Merkmale in der Regel vollständig – und ist damit gewerblich tätig. Die Aussage, man könne „erstmal ohne Gewerbeanmeldung starten“, ist nicht nur irreführend, sondern rechtlich bedenklich.
Auch die angebotene „Teamleiterstelle“ entpuppte sich im zweiten Gespräch als Verpflichtung, zunächst ein eigenes Team durch Anwerbung aufzubauen – ein Modell, das strukturell an Schneeballsysteme erinnert, bei denen das Rekrutieren neuer Personen im Vordergrund steht, nicht der Verkauf eines Produkts. Ob hier bereits die Schwelle zum illegalen System überschritten ist, bleibt juristisch schwer zu fassen – doch die Logik ist bedenklich.
Besonders aufschlussreich war die Kommunikation rund um ein sogenanntes „Starter-Seminar“: Ich wurde unter Zeitdruck gedrängt, daran teilzunehmen, ohne vorab zu erfahren, worum es konkret geht. Erst im zweiten Telefonat wurde mir mitgeteilt, dass ich mich „jetzt entscheiden“ müsse – begleitet von rhetorischem Druck und der Aussage: „Entweder bist du dabei oder du bist raus.“ Diese Art der Gesprächsführung spricht Bände. Sie zeigt, wie stark der Fokus auf Systembindung liegt – nicht auf individueller Beratung oder fachlicher Eignung. Seriös ist das nicht.
Spannungsfeld zwischen Eigeninteresse und Kundenwohl
In solchen Systemen orientieren sich die Vergütungsmodelle primär am Umsatz. Nachhaltige Kundenbindung tritt in den Hintergrund. Berater geraten in ein Spannungsfeld: zwischen eigenem wirtschaftlichem Interesse und dem tatsächlichen Bedarf ihrer Kunden. Letzterer bleibt oft zweitrangig.
Was seriöse Beratung auszeichnet
Eine seriöse Finanzberatung agiert transparent, fachlich kompetent und kundenorientiert. Sie berät unabhängig von Verkaufsdruck und richtet sich nach den Zielen und Bedürfnissen des Einzelnen. So entsteht Vertrauen – die Grundlage für langfristige Kundenbeziehungen.
Denn wer Beratung sagt, muss Verantwortung meinen – und nicht Vertrieb meinen.
Foto: privat